Tagebuch
Newfoundland extreme
13.09.25 03:48 Abgelegt in: Newfoundland

Jürgen auf dem Lower Head Lighthouse Trail, Twillingate, NL
Wir haben gut geschlafen und das Aufwachen begann heute auch nicht wie gestern bereits um 06:00 Uhr. Da klingelte nämlich der Wecker auf Gabis Nachttisch. Den hatten wohl Vorbewohner nicht entschärft. Sie haut ihn aus und 10 Minuten später meldete der sich wieder. Stecker raus. Dann 06:30 Uhr (11:00 Uhr in Deutschland); mein iPhone schreit - Nina-App, Sirenenprobealarm; klar der ist heute und mit Zeitverschiebung passt das. Also wenn es jemanden interessiert: die Sirene für die Hosentasche funktioniert in Neufundland. Heute erwachen wir ganz entspannt und lauschen dem Regen, der bereits die ganze Nacht an das Fenster klopft.
Da wir eine weite Fahrt vor uns haben packen wir zusammen, holen noch einen Kaffee und etwas Obst aus der Coffee-Bar (der Service des Hauses ist wirklich sehr, sehr gut) und fahren los. 08:15 Uhr, aktuell regnet es nur wenig, aber auf den Straßen steht zum Teil viel Wasser. Da heißt es vorsichtig zu fahren. Die Fahrt wird unterbrochen durch Tanken und Sandwiches kaufen in Deer Lake, einem Besuch im Visitor Center mit „Washroom“ vor der „Road to the Isles“ und einem kleinen Obsteinkauf im „Lewisporte Foodland“ und endet um 14:00 Uhr in Twillingate - es hat die ganze Zeit mehr oder weniger geregnet.
Vom Gros Morne National Park ging es dabei über den Viking Trail zunächst zurück bis in die kleine Ortschaft Deer Lake. Dort knüpften wir wieder an den Trans-Canada-Highway #1 an, der uns durch die Zentralregion Neufundlands in Richtung Osten führte. Dabei nimmt die Straße große Umwege, da immer wieder Seen und große Meeresbuchten umfahren werden müssen. Dieses Gebiet ist geprägt von Misch- und Nadelwald, Seen und völliger Abgeschiedenheit. Gabi fragt sich unterwegs, ob hier auch Leute leben? Und was die dann arbeiten? Oder als was sie arbeiten würde, wenn sie hier leben würde? Oder wo die Kinder zur Schule gehen? Oder was ist, wenn die hier einen Herzinfarkt kriegen. Wahrscheinlich gibt es hier keinen Grund, einen Herzinfarkt zu bekommen - hier ist die Welt ruhig, friedlich und die Uhren ticken anders als bei uns.
An der Notre Dame Junction verlassen wir den Trans-Canada-Highway und wechseln auf die #340, die „Road to the Isles“ (da die Straße mehrere Inseln über Brücken und Dämme miteinander verbindet), die uns durch eine eindrucksvolle und verwinkelte Küstenlandschaft zu den Twillingate Islands, einem der touristischen Höhepunkte Neufundlands führte.
Twillingate wird auch als die „Iceberg Capital of the World“ bezeichnet und dieser Titel ist berechtigt, denn die kleine Stadt Twillingate ist hier der Ausgangspunkt, um Eisberge zu sehen. Bis zum Mittsommer hat man in der Regel die beste Sicht auf die majestätischen Boten der Kälte, die vom Labrador Strom von den großen Gletschern im hohen Norden bis vor die Küste Neufundlands getrieben werden.
Wir checken im Anchor Inn ein. Hier gibt es auch ein beliebtes Restaurant und einen Pub, in dem ab 20:30 Uhr Live-Musik geboten wird. Für beides sollte man reservieren. Wir studieren die Speisenkarten - beide sehen super aus. Also dann der Pub, allein schon wegen der Live-Musik. Wir reservieren für 19:00 Uhr und fahren ein paar Meter weiter bergan, wo sich das Nebenhaus mit unserem Zimmer befindet. Alles die Treppe hoch wuchten, einrichten und feststellen: es gibt doch Wifi hier. Vater schreibt, dass es die deutsche Basketballmannschaft gegen Finnland ins Finale der EM geschafft hat. Herzlichen Glückwunsch!
Ich schreibe schon Tagebuch bis hierher, dann ruhen wir etwas aus. Später soll der Regen vielleicht etwas nachlassen. Dann möchten wir unbedingt noch eine Runde laufen und ein paar Bilder machen. Das kam heute noch viel zu kurz.
Am Long Point im Norden der Stadt beim Twillingate Lighthouse, das auch eine Aussichtsplattform hat, bietet sich nämlich auch ohne Eisberge ein grandioses Panorama. Auf dem Weg dorthin gibt es diverse Möglichkeiten, sich die Beine zu vertreten.
An der Küste (French Head) gibt es tolle Felsformationen mit klangvollen Namen wie Bears Head, Cobra Snake und Figure of Indian. Eine sehr schöne Wanderung (Lighthouse/Lower Head Trail) läuft vom Leuchtturm am Long Point auf hohen Klippen südwärts und parallel zum zerklüfteten Ufer durch den Sea Breeze Park.
Als wir mit dem Auto auf dem Parkplatz vor dem Leuchtturm halten, schüttelt es den Escord mächtig durch. Was ist das? Jacke an, Regenjacke drüber, Bergstiefel haben wir schon an - raus. Gar nicht so einfach, die Türen aufzukriegen; hier pfeift ein unglaublicher Wind und deshalb ist wohl auch niemand anderes hier. Regen ist auch zu spüren, aber eher als kleine, harte Einschläge auf der Regenjacke. Es regnet nicht wirklich viel, das Problem ist der Wind. Wir versuchen, etwas herumzugehen und müssen allen ernstes aufpassen, nicht davonzufliegen. Das ist sicher einer der härtesten, wenn nicht der härteste Wind, den ich jemals erlebt habe.
Selbst fotografieren ist nicht einfach. Ich habe Aufnahmen mit 1/500 Sekunde, die verwackelt sind, weil entweder die Kamera ruckte oder Gabi sich nicht halten konnte. Wir klettern dennoch um das Lighthouse herum sowie über den Lower Head Trail und haben faszinierende Aussichten. Der Himmel ist grau und es ist kaum zu sehen, wo am Horizont die Wasserlinie ist. Das Meer ist aufgewühlt und wir passen auf, dem Rand der Klippen nicht zu nahe zu kommen. Die Böen sind so heftig, dass sie nicht auszurechnen und auch kaum zu halten sind. Es gibt einen Weg, den können wir einfach nicht hinuntergehen, weil der Gegenwind zu stark ist. Sagenhaft, dieser Kontrast zu den letzten Tagen. Das ist Neufundland extrem - aber auch, wie man sich das so vorstellt mit den Kräften der Natur. Wir haben trotz oder gerade wegen der heftigen Bedingungen großen Spaß.
Am Ende sind wir dankbar für dieses Erlebnis - das Land auch von dieser Seite kennenlernen zu dürfen. Das hatte schon was!
Hinterher halten wir noch in Crows Head, wo Häuser direkt an der Klippe stehen. Ein kurzer Abstecher an den Hafen von Twillingate zur Meerjungfrau und mit Blick auf unsere blaue Unterkunft auf der gegenüberliegenden Seite rechts neben der Kirche; dann fahren wir zurück zum Zimmer. Dort schaffen wir es, die Fotos auszusuchen und zu bearbeiten, dann gehen wir hinunter zu „Captain’s Pub“.
Da gibt es leckeres Bier vom Fass, für Gabi einen Anchor Inn Cocktail und Cider. Wir bestellen eine Pizza mit Meeresfrüchten (Scallops und Scampi) und eine mit scharfer Salami. Sehr gut, aber viel zu viel. Ab 20:30 Uhr gibt es live-Music mit Mike Sixonate. Er entpuppt sich als grandioser Picker, der seine Gitarre so brillant und schnell bearbeitet, dass einem schwindelig wird. Mike erzählt nicht nur lustige Geschichten aus seinem Leben und singt meist eigene Songs, aber auch einige irische Traditionals. Die Gitarrenbegleitung ist echt Hammer!! Er spiel ein Open-Dsus2-Tuning, was die Sache für mich noch spannender macht.
Jetzt ist es nach 23:00 Uhr und wir sind immer noch pappsatt, aber sehr zufrieden mit diesem außergewöhnlichen Tag, an dem wir Neufundland von einer anderen Seite erleben durften. Ab Morgen soll das Wetter wieder besser werden.
Tagesetappe: 444 Kilometer
Übernachtung: Anchor Inn, 3 Path End, Twillingate, NL A0G 4M0