Tagebuch




The Bay of Fundy

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Gabi im Hopewell Rocks PP, Bay of Fundy, NB

Das Frühstück im August House gibt es erst ab 08:30 Uhr, so dass wir es ruhig angehen lassen können. Wie alles hier im Haus ist auch die erste Mahlzeit des Tages liebevoll angerichtet, mit viel Gefühl für die kleinen Details. Tolles Brot, Aufstriche, Wurst und Käse, homemade Granola, Rührei, Heidelbeeren, O-Saft, Kaffee etc. - und alles ohne Plastik. Wir lassen es uns schmecken und kommen mit einem älteren kanadischen Paar ins Gespräch, die in Halifax zu Hause sind.

Wieder unterwegs fahren wir zunächst über Nebenstraßen eine gute Stunde zum Fundy Tidal Interpretive Center im South Mainland Village Park. Hier wird alles erklärt, was man zur Bay of Fundy wissen muss und eine Aussichtsplattform gibt es auch - aktuell ist Flut.

Nun stehen wir also an der Bay of Fundy, die weltberühmt ist für ihren einzigartigen Tidenhub. Um zu verstehen, was hier geschieht, lohnt ein kurzer Blick auf das große Ganze: Ebbe und Flut entstehen durch die Anziehungskraft von Mond und Sonne auf die Erde. Zweimal täglich „zieht“ der Mond das Wasser an – die Ozeane wölben sich, und an den Küsten steigen und fallen die Wasserstände. Der Unterschied kann gewaltig sein, doch in den meisten Regionen der Welt beträgt er nur wenige Meter.

Ganz anders hier in der Bay of Fundy. Diese riesige Bucht zwischen Nova Scotia und New Brunswick ist so geformt, dass sie das einströmende Wasser wie in einem Trichter verstärkt. Hinzu kommt, dass die Eigenfrequenz der Bucht mit dem Rhythmus der Gezeiten „mitschwingt“ – ein perfektes Resonanzsystem. Dadurch türmt sich das Wasser höher und höher. So wird es im Interpretive Center beschrieben - verstanden habe ich das mit der „Resonanz“ nicht wirklich.

Die Zahlen allein sind aber beeindruckend: Alle sechs Stunden fließen hier bis zu 160 Milliarden Tonnen Wasser hinein und wieder hinaus – mehr als in allen Flüssen der Welt zusammen. Der Unterschied zwischen Ebbe und Flut kann an manchen Stellen über 20 Meter betragen, weltweit einmalig. Wer bei Ebbe an den Ufern steht, blickt auf weite Flächen braunen Schlicks, in denen die Boote auf dem Trockenen liegen. Nur Stunden später schwimmen dieselben Boote wieder viele Meter höher, fest vertäut am Kai.

Hier wird sehr anschaulich, wie stark Ebbe und Flut sein können. Innerhalb von 24 Stunden und 52 Minuten gibt es 2 x Ebbe und 2 x Flut - alle gut 6 Stunden fließt die vorgenannte Menge Wasser also jeweils rein und raus. Irre, oder? Erst liegt der Meeresboden trocken, dann steigen die Wassermassen innerhalb von 6 Stunden wieder viele Meter an. Häfen, Boote und Strände verändern ihr Gesicht im schnellen Rhythmus – und genau das macht die Bay of Fundy so besonders. All das werden wir heute und morgen beobachten können. Schaut mal auf die Bilder.

Nächster Stop nach einer weiteren Stunde gemütlicher Fahrt über die Autobahn gen Norden nach New Brunswick: Sackville mit dem Waterfowl Park, in dem sich über 50 Vogelarten tummeln. 3 km Wanderweg, teilweise als Boardwalk durch sumpfiges Gelände gibt es hier und wir drehen eine große Runde. Die Vögel halten sich bedeckt - kein Wunder bei der Hitze und um diese Tageszeit - die Sonne steht senkrecht. Es duftet aber sehr intensiv nach all den Kräutern und Pflanzen und es tut gut, die Füße zu vertreten. Immerhin bequemen sich einige Enten zu uns rüber. Die ersten Blätter werden bunt.

Für den Höhepunkt des Tages führt es uns abschließend zu einem der bekanntesten Orte an der Bay of Fundy – dem Hopewell Rocks Provincial Park in New Brunswick. Schon auf dem Parkplatz merken wir, dass es nicht zu voll ist. Keine Massen, kein Gedränge, nur ein paar andere Besucher – genau richtig, um die Felsformationen in Ruhe zu entdecken. Genau richtig ist auch der Zeitpunkt: 15:20 Uhr - und jetzt ist „low tide“.

Zuerst bleiben wir oben an der Treppe stehen und machen unsere ersten Fotos von den berühmten „Flowerpots“. Der Weg führt uns dann über eine Stufenanlage hinunter zum Ufer, wo bei Ebbe der „Meeresboden“ begehbar wird. Wir wandern knapp zwei Stunden durch die bizarr geformten Felsen, die wie riesige Blumentöpfe aus dem Boden ragen. Über Jahrtausende hat das Wasser diese „Flowerpots“ aus dem Fels geschliffen. Bei Flut stehen sie im Wasser, doch jetzt, bei Ebbe, spazieren wir direkt zwischen ihnen hindurch. Es ist ein eigenartiges Gefühl, dort zu laufen, wo sich wenige Stunden später wieder Millionen Tonnen Wasser auftürmen werden.

Die Zeit vergeht schnell, und wir spüren beim Gehen den lehmigen Boden unter den Schuhen. Ganz leise ist es hier – nur Möwen und das Knirschen der Schritte begleiten uns - wenn man von den zum Teil nervigen, weil immer im Weg stehenden anderen Leute absieht. Dennoch ein sehr besonderer Ort, an dem wir die Gewalt der Gezeiten nicht nur sehen, sondern unmittelbar erleben.

Später geht es wieder hinauf – der Blick vom Big Cove Lookout und auch von der Terrasse beim Restaurant ist noch einmal ganz anders und zeigt die Weite der Bay besonders eindrucksvoll.

Nur 9 Minuten sind es von hier bis zur Unterkunft für die nächsten zwei Tage. Die sind ruckzuck geschafft. Das Shepody Inn liegt recht solitär an der Landstraße und sieht recht schnucklig aus. Von innen ist es eher einfach, aber sauber und ok.

Beim Check-in wurde uns für das Abendessen die 10 Minuten entfernte Broadleaf Ranch empfohlen - also hin. Große Ranch mit riesigem Speiseraum. Nur 2 Leute drin und als die weg sind, sind wir allein mit der Kellnerin. Egal - ich bestelle BBQ Rips mit bunten Gemüsestreifen und Onion-Rings und Gabi creamy Shrimps- & Scallops-Pasta. Sehr reichhaltig, sehr lecker! Das Bier vom Fass ist eher dünn, Gabis Cider hat Geschmack.

Zurück auf dem Zimmer. Da muss jetzt der kanadische Whisky zeigen, was er kann. Und wir schreibenTagebuch und kümmern uns um die Fotos. Dann ist Feierabend - morgen geht es nochmal zu den Hopewell Rocks, denn um 10:00 Uhr ist wieder Hochwasser. Dann werden wir Vergleichsfotos machen. Und der Hauptteil des Tages sollte dem Fundy NP und evtl. dem Fundy Trail Parkway gehören. Ich bin gespannt!

Tagesetappe: 336 Kilometer
Übernachtung: The Shepody Bay Inn, 4941 NB-114, Shepody, NB E4H 4K2

© 2025 Gabi & Jürgen